Der prozentuale Anteil hörgeschädigter Menschen an der Gesamteinwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland wird im Rahmen unterschiedlicher Erhebungen mit 17 % - 20 % benannt. Das bedeutet, dass annähernd jeder Fünfte von einer mehr oder weniger schweren Hörbehinderung betroffen ist.
Ein normal bzw. guthörender Mensch kann sich kaum wirklich vorstellen, was eine Sinnesbehinderung - wie sie die Schwerhörigkeit oder gar Ertaubung darstellt - für die von ihr betroffenen Menschen bedeutet. Kaum jemand weiß, welch immense Hochkonzentration ständig in sämtlichen Bereichen sozialer Kommunikation und Interaktion aufgebracht werden muss, um auch nur halbwegs sicher, orientiert und informiert an ganz alltäglichen Lebenssituationen teilnehmen zu können und diese zu meistern.
Dies gilt sowohl für den privaten, familiären, als auch insbesondere für den beruflichen Alltag. Aber auch dort, wo gut Hörende Entspannung finden, ist der hörgeschädigte Mensch besonderen Anforderungen und dem Stress ständiger Hochkonzentration ausgeliefert.
Von Hörschäden betroffene Menschen wissen es aus eigener, bitterer Erfahrung selbst am besten, wie sehr oftmals adäquate technische Mittel zur Hörhilfe in öffentlichen Räumen fehlen. In Schulen, Universitäten, Kinos, Opern - und Konzerthäusern wurde zwar zumeist von Seiten der Architekten beim Bau der Gebäude und der Innenausstattung der Räume die Frage nach einer guten Akustik entsprechend berücksichtigt und diese in die Planung mit einbezogen. "Gute Akustik" meinte und orientierte sich hierbei allerdings in der Regel an der Hörfähigkeit der Mehrheit der normal bzw. gut Hörenden.
Insofern fehlt eine hörgeschädigtengerechte Technik weiterhin in vielen öffentlichen Räumen, wodurch Hörbehinderte von vielen Bereichen der Bildung, Kunst und Kultur faktisch ausgeschlossen werden.
Auch die Mehrzahl der kirchlichen Gebäude bietet in dieser Hinsicht leider keine rühmliche Ausnahme.
Wie es ist, wenn jemand „schwer hört“, kann man sich wahrscheinlich nicht wirklich vorstellen, wenn man es nicht selbst kennt. Es ist ja nicht so, dass beim Verstehen nur „ab und zu mal ein Wort fehlt“. Es ist viel komplizierter!
Im Gehirn geschieht dabei ständig sehr vieles:
Töne wahrnehmen – Wort? Satz? Ergibt es Sinn? Passt es im Kontext? Fehlen evtl. Laute? – welche? - welches Wort wäre es dann? – ergibt es Sinn? – passt es im Kontext?
Sind mehrere Varianten der Bedeutung des Gehörten (+ im Kopf Ergänzten) möglich? – welche ist wahrscheinlich gemeint? Oder nicht wahrscheinlich? – Diskrepanz? – Relevant für aktuellen Kontext? – Nachfragen „Wie bitte?“ oder lieber nicht? … So tun, als ob man es verstanden hätte? Oder nur „neutral gucken“? ggf. einfach mitlachen (auch wenn man keine Ahnung hat, worüber!)? …
Und derweil gelangen die nächsten Töne/Worte/Laute ins Ohr und müssen jeweils ebenso „bearbeitet“ werden … und die übernächsten … und immer so weiter!
Und das alles permanent, stets und ständig!
Oder wie jemand anders mal sagte: Mit Hörgerät muss man die Buchstaben immer erst sortieren, bevor man sie verstehen kann.
Ingrid G. Voß