Pfarrer Otto Bartel (13.4.1892 – 11.11.1979)
Otto Bartel wurde im Jahr 1892 geboren. Im ersten Weltkrieg hat er eine Handverletzung erlitten. Er studierte Theologie in Berlin und wurde 1925 „Provinzial- und Synoldalgeistlicher“ für die Gehörlosen. Schon zwei Jahre später gründete er den Ev. Gemeindeverein.
Pfr. Schulz (Gehörlosenpfarrer in Berlin seit 1908) war dagegen. Er war zweiter Vorsitzender im „Zentralverein für das Wohl der Taubstummen“. Der Zentralverein übernahm damals kirchliche und soziale Aufgaben (z. B. die Kirchenfeste). Aber Bartel wollte einen eigenen kirchlichen Verein. So gründete er am 16.12.1927 den Ev. Gemeindeverein der Gehörlosen.
Im Jahr 1934 wollte Bartel den Gemeindeverein wieder auflösen. Alle Vereinsmitglieder sollten in die „Ortsgruppe der Gehörlosen im Gau Berlin der Deutschen Christen“ eintreten. Der Leiter dieser Ortsgruppe war Pfr. Bartel. Die Deutschen Christen waren vom Nationalsozialismus beeinflusst: Sie wollten alle jüdischen Gedanken aus der Bibel entfernen (Altes Testament, Paulus) und nur Arier in die Kirche aufnehmen. Das Christentum sollte eine „deutsche Religion“ werden, wie sie der Ideologie der Nazis entsprach.
Wir wissen nicht genau, was danach mit dem Ev. Gemeindeverein passiert ist. ‚Aber im Jahr 1937 feiert der Verein sein zehnjähriges Bestehen – mit Pfr. Bartel! Die Zeit der „Ortsgruppe der Deutschen Christen“ war vorbei.
1943, am Ende des Krieges, plante Bartel, eine eigene Kirche für Gehörlose in Berlin zu errichten. Er gründet einen Kirchbauverein und sammelt 7.000 Mark bis zum Jahr 1947. Aber nach dem Krieg sah er Not und Armut vieler Gehörloser. Bei Haussammlungen sammelte er mit seinen Helferinnen und Helfern 150.000 Mark! Davon kaufte er zwei Mietshäuser in Friedrichshain. Aus den Mieteinnahmen zahlte er Unterstützungen.
1948 wurde Pfr. Bartel „geistlicher Inspektor für die Taubstummen“. Warum? Nach dem Krieg durften die Pfarrer der „Deutschen Christen“ nicht mehr in normalen hörenden Gemeinden arbeiten. Der Bischof der „Deutschen Christen“, Pfr. Hossenfelder, wurde zu den Gehörlosen geschickt. Hossenfelder brauchte nun aber einen Vorgesetzten, der auf in aufpasste, einen „Inspektor“. So kam Pfr. Bartel zu seinem neuen Titel.
Im Jahr 1952 kaufte Bartel eine Villa in Zehlendorf (Knesebeckstraße 1) und errichtete dort ein Altersheim. Vorher waren ältere Gehörlose oft in Nervenheilanstalten untergebracht worden. Das Altersheim in der Knesebeckstraße musste Anfang der 80er Jahre geschlossen werden, weil es keinen Fahrstuhl und keine Duschen im Zimmer hatte.
1955 (oder 1951?) kaufte Bartel er das Erholungsheim „Lampertsberg“ in Zorge. Dieses Haus wurde in den 70er Jahren wieder verkauft.
1957 ging Pfr. Bartel in den Ruhestand. Aber er leitete den Verein leitete noch bis 1977.
Die Trennung des Vereins durch die Mauer
Am 13. August 1961 wurde West- von Ostberlin durch die Mauer getrennt. Der Gemeindeverein der Gehörlosen musste im Osten eine Zulassung erhalten, weil er Vermögen, Häuser etc. hatte. Im Osten gab es kein Vereinsrecht! Neue Vereine konnten nicht gegründet werden.
Aber es geschah ein kleines Wunder: der Ev. Gemeindeverein der Gehörlosen Berlin (Ost) blieb erhalten – unter altem Vereinsrecht! Vorsitzende waren nach den alten Vereinsstatuten
Pf. Reichhenke bis 1978
Pf. Wegmann 1979-1980
Pastorin Umbach 1980/81
Pf. Schuster ab Dez. 1981
Der Hausbesitz wurde unter die „Kommunale Wohnungsverwaltung“ (KWV) gestellt, aber formal blieb das Eigentum erhalten.
Es wurde auch unter den erschwerten Bedingungen immer die Verbindung zum Verein in West-Berlin festgehalten. Als nach 1980 Erleichterungen für Westberliner zum Besuch in Ostberlin und der DDR kamen, waren wir viel mit den Vereinsmitgliedern und Vorstand West verbunden - z. B. auf unseren Dampferfahrten und zu Erntedankfesten in Pfarrgärten am Rande Berlins, in der Mark Brandenburg. So wurden bald nach dem Fall der Mauer Frau Schleser aus Ostberlin zur Vorsitzenden des wieder vereinten Vereins gewählt.
Seit 2018 bietet der Verein wieder Wohnmöglichkeiten für Gehörlose mit zusätzlichem Betreuungsbedarf an. In der Lindenstraße in Kreuzberg enstanden acht Wohnungen und ein Büro- und Gemeinschaftsraum ganz in der Nähe vom Gehörlosenzentrum in der Friedrichstraße. Die Betreuung geschieht durch die sinneswandel gGmbH.
Der „Wegweiser zu Christus“
Seit 1929 gab es eine evangelische Gehörlosenzeitung für ganz Deutschland (heute: „Unsere Gemeinde“). Diese Zeitung damals hieß „Wegweiser“. 1939 wurde dieser „Wegweiser“ in Berlin eingeführt. Zwei Jahre später, im Mai 1941, musste der Wegweiser sein Erscheinen einstellen, weil Krieg war.
1948 erscheint dann in Berlin der „Wegweiser zu Christus“. Das ist nicht mehr dieselbe Zeitung wie der alte „Wegweiser“. Der „Wegweiser zu Christus“ ist nur für Berlin und die Mark Brandenburg da. Er ist das neue Vereinsblatt des Ev. Gemeindevereins.
1952 wird „Unsere Gemeinde“ gegründet. Sie soll an alle evangelischen Gehörlosen in ganz Deutschland verteilt werden. Aber Bartel wehrt sich dagegen. Er hat den „Wegweiser zu Christus“ in Berlin und will keine Konkurrenz.
Aber es gibt ein Problem: Der „Wegweiser zu Christus“ ist ein Vereinsblatt, das nur an Vereinsmitglieder verteilt wird. Gehörlose Christen, die nicht Mitglied im Verein sind, bekommen keine Informationen.
Am 1.12.1975 gründet deshalb Pfr. Stepf den „Gemeindebrief“, der für alle evangelischen Gehörlosen in Berlin da ist. Gleichzeitig führt er „Unsere Gemeinde“ auch in Berlin ein.
In der DDR hatte es die kirchliche Presse besonders schwer. Schon der „Wegweiser zu Christus“ hatte den Aufdruck: „Nur für den Westteil“. Im Osten gab es Probleme. Er durfte dort nicht gedruckt werden. Nach 1961 gab es in der DDR nur kopierte Rundbriefe, die an die Mitglieder verteilt wurden. Eine richtige Zeitung für evangelische Gehörlose wurde von den Regierungen nicht gestattet.
Namen der Ersten Vorsitzenden des Ev. Gemeindevereins
1927 – 1960 (?) Pfr. Otto Bartel
1960 (?) – 1968 (?) Pfr. Stoeversand (?)
1968 – 1973 Rudolf Menzel (? – viell. nur bis 1971)
1973 – 1978 Bernhard Mücke (viell. schon ab 1971)
1978 – 1985 Günter Stretzke
1985 – 1992 Peter Wank
1992 – 1995 Erika Schleser
1995 – 2000 Pfr. Dr. Roland Krusche
2000 - 2018 Karin Hennemann
2018 - ... Reiner Friedrich